Donnerstag, 26. Februar 2009

Der Hassle Faktor

In der vergangenen 4 Wochen hier in Indien habe ich mich mit vielen anderen Travellern unterhalten und dabei durchweg festgestellt. Sympathie oder Antipathie der zu besuchenden Städte wird unter anderem vom sogenannten Hassle Faktor sehr stark beeinflusst. Nun gibt es dieses sogenannten H-Faktor nicht wirklich, er entstammt meinem unausgelasteten Gehirn. Doch trifft er mit präziser Genauigkeit das, was viele Reisenden hier tatsächlich empfinden. Mit „hassling“ wird das penetrante Umwerben der Touristen durch die Straßenhändler umschrieben. Je mehr an einem ständig gebaggert und zum Kaufen aufgefordert wird, umso genervter reagiert der Tourist auf diese Anmachen und ergreift die Flucht. Setzt sich die Sonnenbrille auf und versucht durch Ignorieren jeglicher Annäherungsversuche dem ständigen „Come in“, „where do you come from“ und anderer Einleitungen zum Small talk zu entfliehen. Umso schlimmer ist der H-Faktor. Grundsätzlich glaube ich ist der Durchschnittstourist ja gewillt einheimische Produkte als Mitbringsel zu kaufen. Möchte gerne durch die Verkaufsstrassen schlendern, schauen, vergleichen, ein Schnäppchen ergattern. Doch gelingt es den indischen Händlern immer wieder mit geradezu phänomenaler Penetranz jegliche Lockerheit eines Verkaufsgesprächs von Anfang an im Keim zu ersticken. Ein Beispiel: ich laufe durch die Strasse, sehe ein englischsprachiges Buch in einem second hand shop, verlangsame meinen Schritt nur kurzzeitig um den Titel sowie den Untertitel als auch den Autor zu lesen. Meine Augen verbleiben länger als die üblichen 1,3 Sekunden auf diesem Buch und – schon steht ein eifriger Händler neben mir preist mir dieses tolle Exemplar als wunderbare Literatur an (mit Sicherheit hat er es nicht gelesen, doch das Cover ist farbig und in gutem Zustand). Bleibe ich tatsächlich stehen, so leuchten bereits seine Dollar-Zeichen wie bei Dagobert Duck in den Augen und er möchte in die Verkaufsverhandlungen einsteigen. Doch da ich zwischenzeitlich das Buch für mich abgeschrieben und kein Interesse habe es zu kaufen laufe ich weiter. Und während ich mich entferne bekomme ich einen Schwall von Preisreduzierungen, tollen Tipps über andere Bücher und anderem Krimskrams hinterhergerufen – das ist hassling. Ohne die penetrante Offerte wäre ich vielleicht gerne in den Bookshop gegangen um mir weitere Bücher anzusehen. Doch so gingen wir beide leer aus. Und dies passiert etwa pro Tourist etwa gefühlte 200 Mal am Tag. Kaum vorstellbar, oder? Und so hat sich ungewollter Weise eine richtige Rangliste ergeben auf Basis des H-Faktors. Unangefochten und von 100 % aller Nordindien-Reisenden steht Neu Dehli. Dicht gefolgt von Jaipur und Agra. Daraus lässt sich interessanterweise folgendes ableiten – je größer die Städte, umso höher ist der H-Faktor. Je ländlicher die Gebiete und kleiner die Städte, umso angenehmer wird Indien empfunden. Trotz Hochsaison ist es wohl den Händlern nach zu urteilen sehr ruhig im Tourismusgeschäft. Die globale Krise wirkt auch hier. Ich genieße den Vorteil auf Grund dessen keine Probleme bei der Zimmersuche zu haben. Bei den Straßenhändlern stapeln sich stattdessen die Waren. Und damit steigt auch der Druck die überwiegend auf dem Land hergestellten Textilwaren, den Silberschmuck, Bilder und vieles mehr auch zu verkaufen. In 2 Monaten ab Mitte April wird’s heiss im Norden und die Hauptsaison ist vorbei. Die Touristen und das mitgebrachte Geld verschwinden. Der H-Faktor steigt.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Ja, das kann ich nachvollziehen. Genauso habe ich in der Türkei reagiert. Die Kunden werden vergrault und die kapieren es nicht.Ma